Rezension | Winterpferde von Philip Kerr
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Rowohl Rotfuchs | Hardcover | 288 Seiten | €16,99 | The Winter Horses | Christiane Steen (Übersetzer) | Kaufen? |
In dem alten Naturreservat Askania-Nowa leben die seltenen und vom Aussterben bedrohten Przewalski-Pferde, für die nicht nur der treue Tierwärter Maxim eine Schwäche hat. Auch das jüdische Mädchen Kalinka fühlt sich zu den Pferden hingezogen, die ebenfalls zu spüren scheinen, dass Kalinka eine von ihnen ist. In großer Gefahr und in dem eisigen Winter 1941 hilft Maxim dem Mädchen, gemeinsam mit den Pferden und einem Wolfshund, zu fliehen. Doch die SS ist ihnen dicht auf den Fersen, denn die Przewalski-Pferde sind in ihren Augen Zigeunerpferde, die es nicht wert sind, zu leben – ebenso wie Kalinka.
Geschichten, die während des dritten Reichs spielen, sind für manch einen eine plattgetretene Sache, die nicht mehr berühren kann. Doch kann ein solch großes und grausames Ereignis wirklich jemals richtig verarbeitet werden? Vielleicht nicht, vielleicht aber auch doch – vielleicht sind es gerade diese Geschichten wie „Winterpferde“, die am Leben erhalten, was nicht vergessen werden darf: Nämlich, dass es Menschen waren und keine Zahlen, die damals ihr Leben lassen mussten. Und dass es Hoffnung gab und Geschichten, die erzählt werden müssen. „Winterpferde“ ist ein historischer Roman, der nur in einigen Details die Wirklichkeit widerspiegelt, jedoch sicherlich ähnlich hätte passiert sein können – eindringlich, ohne erhobenen Zeigefinger und mit einer spürbaren Intensität erzählt Philip Kerr eine Geschichte über Freundschaft, Menschlichkeit, Mut, aber auch über Grausamkeit, Verlust und Angst. Eine Geschichte, die unter die Haut geht und den Leser in die eisige Steppe von Askania-Nowa entführt, gemeinsam mit zwei seltenen Pferden, einem Wolfshund und einem kleinen Mädchen…
Die Geschichte um Kalinka und ihre Pferde wird in leisen, aber intensiven Tönen erzählt, die dem Leser die klirrende Kälte, den Geruch von Pferdefell und den Geschmack eines Stücks Schokolade nach einer langen Zeit ohne Nahrung bildlich in den Kopf rufen. Besonders die Figuren wachsen einem während des Lesens ans Herz – sei es die schlaue Kalinka, die so viel durchmachen musste und dennoch nicht ihren Glauben an die Menschlichkeit verliert, Maxim, der alte und liebenswerte Zoowärter oder einfach eine Figur, die trotz allen Grauens Hoffnung gibt. Hier ist mir auch sehr positiv aufgefallen, dass der Autor nicht mit erhobenem Zeigefinger schreibt – zwar kritisiert und klagt er deutlich an, doch er pauschalisiert nicht, was ich gerade bei solchen Büchern als sehr wichtig erachte. „Winterpferde“ mag eine verhältnismäßig kleine Geschichte im Gesamtbild des zweiten Weltkrieges sein, doch sie ist ebenso wichtig und schaffte es, mich tief zu berühren – und mir tagelang einen Ohrwurm des russischen Volksliedes „Kalinka“ zu verschaffen. Eine bewegende, spannende, große, kleine und wichtige Geschichte, die einen beinahe märchenhaft anmutenden Charakter inmitten einer grausamen Zeit an den Tag legt und schlichtweg etwas ganz Besonderes ist.
Eure Wortmalereien (1)
Martina
8. Dezember 2015 at 10:59
Das Buch steht auf meiner Wunschliste. In unserem Nachbarort wurden einige Przewalski-Pferde angesiedelt und jedes mal, wenn ich an ihnen vorbeifahre, bewundere ich diese Rasse! Da ich auch gerne Bücher über die beiden Weltkriege lese, wird es sicher bald bei mir einziehen!Liebe GrüßeMartina